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Wort zum Wochenende

Ein Land steht zwei Minuten lang still

Wären Sie gestern in Israel gewesen, hätten Sie einen Moment erlebt, wie es ihn in Deutschland nicht gibt, so Dr. Josef Schuster

Wären Sie gestern in Israel gewesen, hätten Sie einen Moment erlebt, wie es ihn in Deutschland nicht gibt: Die Sirenen heulen, Autofahrer halten an, steigen aus und stellen sich stumm neben ihre Wagen, Passanten halten inne. Das ganze Land steht für zwei Minuten still. Später folgen Gedenkfeiern mit der Staatsspitze.

Auf diese Weise erinnert Israel jedes Jahr an den Holocaust, an die Ermordung von sechs Millionen Juden. Der Gedenktag heißt Jom Ha-Schoa. Das Datum richtet sich nach dem Warschauer Ghetto-Aufstand. 1943 hatten sich jüdische Ghetto-Bewohner mit Waffen gegen die deutschen Besatzer gestellt und kämpften über mehrere Wochen, obwohl sie in ihrer Ausrüstung den Deutschen völlig unterlegen waren. Bei den Kämpfen starben 12.000 Menschen. Weitere 30.000 Menschen wurden nach den Kämpfen erschossen, 7.000 Menschen in die Vernichtungslager deportiert.

Die Form des Gedenkens, wie sie in Israel stattfindet, haben wir so in Deutschland nicht. Doch in unserem Land, in dem der Holocaust erdacht, geplant und in Teilen umgesetzt wurde, gibt es die authentischen Orte – die ehemaligen Konzentrationslager.

Ich fordere seit langem, dass alle Schüler einer weiterführenden Schule einmal eine solche Gedenkstätte besuchen sollten. In Bayern wird dies auch umgesetzt. Bei nicht-jüdischen Gesprächspartnern spüre ich jedoch manchmal einen Unwillen. Nicht wenige Bürger haben die Einstellung, dass auch einmal Schluss sein müsse mit dem Gedenken. Sie haben den Eindruck, es stehe noch immer ein Schuld-Vorwurf im Raum.

Daher möchte ich betonen: Das ist nicht der Fall. Abgesehen von sehr wenigen, heute hochbetagten Menschen, die wegen ihrer Teilnahme an den Verbrechen noch vor Gericht gestellt werden, geht es nicht um Schuld.

Es geht darum, dass auch die nachfolgenden Generationen lernen, wozu Menschen fähig sind. Sie sollen verstehen, warum in unserem Staat die Achtung der Menschenwürde und der Schutz von Minderheiten so wichtig genommen werden. Und sie sollen erkennen, dass die Nazis nicht wie Außerirdische zu uns kamen, sondern dass es ihre eigenen (Ur-)Großväter und -mütter waren, die das NS-System stützten, indem sie wegsahen oder mitmachten, die vielleicht selbst zu Tätern geworden waren.

Nirgendwo wird diese Vergangenheit so greifbar wie an den authentischen Orten. Sich diesem Abgrund auszusetzen, ist nicht leicht. Doch die Frage, warum wir uns in jeder Generation neu für ein humanes und demokratisches Deutschland einsetzen müssen, ist nach dem Besuch eines früheren Konzentrationslagers beantwortet.

Dr. Josef Schuster
Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken