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Freiheit und Glück sind nicht selbstverständlich

Wer einen Blick in die Bibel wirft, wird feststellen: Alles schon einmal dagewesen, so Dr. Josef Schuster

Wer einen Blick in die Bibel wirft, wird feststellen: Alles schon einmal dagewesen. Was wir heute an menschlichem Leid und Glück erleben, an menschlichem Verhalten – all das findet sich in gewisser Weise auch schon in der Bibel. Das gilt ebenso für den Talmud – für Juden sind das fast ebenso wichtige Schriften wie die Thora, also die fünf Bücher Mose, die für Christen den Hauptteil des Alten Testamentes bilden.

 

Und je nachdem, in welcher persönlichen Situation man sich gerade befindet oder was gerade auf der Welt geschieht, lesen sich die alten Texte neu. So geht es mir gerade mit einem jüdischen Fest, das wir vor drei Tagen begangen haben: Lag BaOmer.

 

Die Omerzeit im Frühjahr ist eine 50-tägige Trauerzeit, weil unter anderem nach einer Legende aus dem Talmud 24.000 Schüler eines berühmten Rabbiners einer Epidemie zum Opfer fielen. Die Trauerzeit ist für fromme Juden bis heute dadurch gekennzeichnet, keine Musik zu hören, keine fröhlichen Feste wie etwa Hochzeiten zu feiern - und sich nicht die Haare zu schneiden. An Lag BaOmer wird diese Trauerzeit für einen Tag unterbrochen, und heutzutage werden an diesem Fest gerne Lagerfeuer entzündet und der Grill angeworfen.

 

Nun würden wir die vergangenen Wochen unter dem Zeichen der Corona-Epidemie sicher nicht als Trauerzeit bezeichnen, dennoch passten und passen sie in gewisser Weise zur Omerzeit. Für einige Menschen, die durch das Covid-19-Virus einen Angehörigen verloren haben, ist es tatsächlich eine Trauerzeit. Für die meisten anderen Menschen auf jeden Fall einer Zeit der Entbehrungen, für einige sicherlich auch der Einsamkeit.

 

Und als es kurz vor Lag BaOmer hieß, die Friseure dürften wieder öffnen, so dass wir uns wieder die Haare schneiden lassen können, musste ich fast schmunzeln. Die Parallele springt ja geradezu ins Auge.

 

Sie regt aber auch zum Nachdenken an. Die Legende aus dem Talmud macht uns ebenso wie reale historische Geschehen bewusst, dass die Menschheit immer wieder durch dunkle Täler gehen musste. Dass ein glückliches, freies und unbeschwertes Leben nichts Selbstverständliches ist.

 

Wir alle spüren dies seit Mitte März in einer Weise, wie wir es nicht kannten. Es gibt gravierende Einschnitte, bedingt durch die Corona-Epidemie, und Kleinigkeiten wie der verschobene Friseurbesuch, die unsere Perspektive verändert haben: was für uns völlig selbstverständlich war, ist es plötzlich nicht mehr. Doch vielleicht schätzen wir die Freiheiten, die wir gerade Stück für Stück wiedergewinnen, jetzt mehr als vorher. Auch wenn wir Masken tragen und weit auseinander sitzen müssen – wir sollten den Besuch im Seniorenheim, des Biergartens oder den Gang zu Friseur genießen. Selbstverständlich ist das alles nicht.

 

Der Autor Dr. Josef Schuster ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.