Eine Verwandte aus Westfalen stellt letztens beim Gang durch die Würzburger Innenstadt fest, dass es bei uns ganz schön lebendig zugeht. Überall flanieren Leute, überall stehen draußen Tischchen vor Cafés oder Restaurants, und fast pausenlos finden Feste oder Festivals statt. Das Mainufer ist belebt, und im Ringpark sammeln sich kleine Gruppen im Grünen zum Spielen. Das ist schön so.
Eine andere Facette unseres Stadtlebens beobachte ich, wenn ich die Kirche St. Johannis betrete, wo ich Pfarrer bin. Sofort wirkt die Stille. Fast immer sitzen Menschen ruhig in einer Bank, betend, schweigend, schauend. Andere haben vor einer Skulptur Halt gemacht oder betrachten die bunten Fenster der Taufkapelle. Wenn die Kirche abends geschlossen wird, sind viele der Lichter am Kerzenbaum angezündet.
Es gibt eine lebendige Spiritualität jenseits der organisierten Religion. Und nicht wenige Menschen suchen die tagsüber offenen christlichen Kirchen auf: den Dom oder die Augustiner, die Marienkapelle oder St. Johannis, die Deutschhauskirche oder St. Stephan. Dort entfaltet sich eine andere Art von Lebendigkeit als auf den Straßen und Plätzen. Eine meist stille, aber nicht weniger bewegte. Es findet ein Austausch statt zwischen dem Innenleben, und dem, was die Gebäude von Gott zu erzählen haben. Im Laufe einer Woche haben sich vermutlich viel mehr Menschen in unseren Kirchen eingefunden als in den Sonntagsgottesdiensten. Und das ist ein gutes Zeichen für die geistliche Lebendigkeit der Menschen.
An einem schönen Sommertag, an dem es in den Fußgängerzonen und Parks nur so wimmelt und die Kirchen offenstehen, denke ich mir: So sollte das Leben sein. Leicht und vergnügt. Und mit der Möglichkeit zum Innehalten und Zu-sich-und-Gott-Finden.
Pfarrer Jürgen Reichel, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St. Johannis, Würzburg