„Das kann doch nicht alles gewesen sein?“, hat der Liedermacher Wolf Biermann vor ein paar Jahren gesungen. Der Text des Liedes hat nichts von seiner Aktualität verloren. Auch heute denken viele so, nicht nur in der Lebensmitte. Es ist das Gefühl, dass es doch mehr geben muss in diesem Leben als das bisher Erlebte. Mit wie viel Erwartungen ging man in einen neuen Lebensabschnitt? In die Schule, die Ausbildung und in den Beruf. In die Ehe, das erste Kind. Endlich, das Eigenheim, das große Auto, der Karrieresprung. Und dann: Das soll es nun gewesen sein? Da muss doch noch etwas kommen, in den besten Jahren? Ja, es kann groß sein, das Streben nach Glück und Erfüllung, das Verlangen nach einem anderen Leben, die Sehnsucht nach Sinn.
Vielleicht gibt uns die Fastenzeit, die vierzigtägige Vorbereitungszeit auf Ostern, eine Antwort. Fastenzeit, geht es da nicht um Verzicht, Enthaltsamkeit, Askese? Bei der Eröffnung der „Würzburger Katholikentage“ an Aschermittwoch überraschte Pater Martin Wolf in seiner Predigt die Gottesdienstbesucher mit einer überdimensional großen Schere. Mit dieser zerschnitt er eine Banderole mit der Aufschrift „weglassen“. Weglassen, den abendlichen Schoppen, das Stückchen Schokolade, die Tasse Cappuccino, das allzeit bereite Smartphone. Das kann echt weh tun. Pater Martin wollte aber mehr sagen. Durch das Zerschneiden ergab sich das Wortspiel „Weg lassen“. Wenn wir also Liebgewonnenes weglassen, machen wir einen Weg frei für Gott. Wenn wir nur um uns selbst kreisen, kommen wir irgendwann an den Punkt, wo uns die Frage begegnet „Das kann doch nicht alles gewesen sein?“.
Die Sehnsucht nach Sinn, nach einem Leben in Fülle, hat in Jesus Christus einen festen Grund. Mit dieser Hoffnung können wir bewusster leben. Mit diesem Glauben können wir Brüche und Unvollkommenheiten in unserem Leben akzeptieren. Ich muss nicht alles haben, alles können, alles wissen. Wenn alles vorhanden ist, die Schränke und die Terminkalender übervoll sind, wenn ich keinen Hunger verspüre, wo bleibt da die Sehnsucht nach dem Mehr? Wenn ich mich selbst erlösen kann, erwarte ich da noch den Himmel?
Befreien wir nicht nur unsere Wohnungen vom Staub langer Wintertage, kehren wir auch so manche Stereotype aus unserem Denken und Verlangen. Im Los- und Weglassen bekomme ich einen neuen Blick auf das Wesentliche in meinem Leben: Menschen, die mich in großer Treue begleiten. Mein Arbeitsplatz, der Alltag, der meinem Leben Struktur gibt. Die freundliche Verkäuferin an der Kasse, blühende Narzissen im Februar, in freudiger Erwartung auf dem Bahnsteig, der Kartengruß aus Paris, mein Sorgen für die anderen, ohne Schmerzen aufstehen zu dürfen.
„Da muss doch noch Leben ins Leben – eben“.
Margit Rotter
Geschäftsführerin des Diözesanbüros Würzburg