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Wort zum Wochenende

„Der Himmel ist das tägliche Brot der Augen“

Noch ist er zu sehen, allerdings nicht mehr so gut mit bloßem Auge... so Pfarrerin Susanne Hötzel

Noch ist er zu sehen, allerdings nicht mehr so gut mit bloßem Auge, sondern besser mit dem Teleskop: der Komet Neowise, benannt nach der Raumsonde, die ihn im März entdeckte. Unterhalb des Sternbildes „Großer Wagen“ ist er zu entdecken, allerdings nur bei wolkenloser Sicht und möglichst wenig Lichtverschmutzung. Erst in ca. 6800 Jahren wird er sich der Erde wieder so annähern wie in diesem Sommer. Vielleicht haben manche, die es wollten, den Kometen in der vergangenen Woche nicht mit bloßem Auge am Himmel gefunden, aber gelohnt hat sich der Blick nach oben sicher dennoch: unzählige Sterne, Flugzeuge mit ihren blinkenden Lichtern, vielleicht die vorbeiziehende ISS und Sternschnuppen. Am Nachthimmel ist allerlei los. Der Blick nach oben ist in jedem Fall faszinierend.

"Der Himmel ist das tägliche Brot der Augen", sagte der amerikanische Philosoph und Schriftsteller Ralph Waldo Emerson im 19. Jahrhundert. Eine Bitte aus dem Vaterunser klingt in diesem Satz an: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Diese Bitte formuliert das, was wir zum Leben notwendig brauchen. Natürlich ist damit im übertragenen Sinne vieles gemeint. Schon Martin Luther schreibt im kleinen Katechismus von 1529: Brot ist „alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherrn, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“ Luther hat bei seiner Aufzählung nichts ausgelassen. Seiner Meinung nach sind solche Dinge für menschliches Leben notwendig. In diesem Corona-Sommer versteht man noch mehr, was das heißt: Gesundheit ist nichts Selbstverständliches. Gute Freunde und Nachbarn, die einen sehen und nicht vergessen, sind nichts Selbstverständliches. Ein reich gedeckter Tisch ist nichts Selbstverständliches. In der Vaterunser-Bitte um das tägliche Brot wird der Blick der Betenden vom Himmel auf die Erde gerichtet.

Der Himmel ist das tägliche Brot der Augen.“ Die Augen sind das Bindeglied zwischen Himmel und Erde. Der Blick nach oben in die unendliche Weite - mit oder ohne Komet - zeugt von Gottes Unermesslichkeit und von menschlicher Winzigkeit. Das, was hier unten auf der Erde „groß und wichtig erscheint“, mutet dann mitunter „nichtig und klein“ an, wie schon Reinhard Mey singt. Man sieht es - zumindest für einen Moment - mit anderen Augen: Wahnsinn, wie klein ist der Mensch hier auf unserem Planeten, ein winziger Teil in diesem Wunderwerk der Schöpfung! Die Perspektive, die über das Heute, das Leid, den Schmerz, den Streit und das Unmittelbare hinausgeht, ermöglicht mit dem, was anliegt, besser umzugehen und fertig zu werden.

Noch ist er zu sehen, der Komet Neowise. Egal, ob man ihn erblickt oder nicht, tägliches Brot für die Augen beschert der Blick in den Himmel immer. Und das ist gut für die Seele, sozusagen Urlaub für den ganzen Menschen.


 

(Susanne Hötzel, Pfarrerin der Auferstehungskirche und Klinikseelsorgerin im König-Ludwig-Haus)